Im Forschungsschwerpunkt „Prävention“ beschäftigt sich das PROTECT Lab mit
Psychische Störungen sind mit geschätzten Lebenszeit- und 12-Monats-Prävalenzraten zwischen 18,1-36,1% bzw. 9,8-19,1% (Kessler et al., 2009) weit verbreitet. Psychische Störungen sind nicht nur eine der führenden Ursachen für Arbeitsunfähigkeit (Whiteford et al., 2013), sondern auch mit einer hohen Krankheitslast sowie einem erhöhten Risiko für die Entwicklung chronischer körperlicher Erkrankungen und verfrühtem Tod verbunden (Saarni et al., 2007; Üstün, Ayuso-Mateos, Chatterji, Mathers, & Murray, 2004). Auch die ökonomischen Konsequenzen sind substantiell, bedingt durch medizinische Kosten, Beeinträchtigungen im Beruf sowie Verringerung der Arbeitskräftebeteiligung und Produktivität (Berto, D’Ilario, Ruffo, Virgilio, & Rizzo, 2000; Greenberg & Birnbaum, 2005; Smit et al., 2006).
In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine Vielzahl von Interventionen zur Behandlung psychischer Störungen entwickelt, für die die Wirksamkeit in einer großen Anzahl randomisiert-kontrollierter Studien belegt wurde (Cuijpers, van Straten, Andersson, & van Oppen, 2008; Hofmann & Smits, 2008). Doch selbst unter der Annahme eines hypothetischen Szenarios von 100% Behandlungsabdeckung unter Nutzung von ausschließlich evidenzbasierten Interventionen kann die auf psychische Störungen zurückzuführende Krankheitslast nur um etwa 1/3 reduziert werden (Andrews, Issakidis, Sanderson, Corry, & Lapsley, 2004). Tatsächlich werden allerdings weniger als die Hälfte der Betroffenen mit einer psychischen Störung als solche erkannt und behandelt (Kohn, Saxena, Levav, & Saraceno, 2004). Daher wird derzeit die Aufmerksamkeit zunehmend auch auf die Prävention von psychischen Störungen gerichtet.
Die meisten Forscher definieren Prävention als jene Interventionen, die durchgeführt werden bevor Individuen die formalen Kriterien einer psychischen Störung nach dem DSM-5 erfüllen. Man unterscheidet drei Typen: universelle, selektive, und indizierte Prävention.
Universelle Prävention zielt auf die Gesamtbevölkerung oder Teile der Gesamtbevölkerung ab, egal ob Individuen ein größeres Risiko für die Entwicklung einer Störung aufweisen (z.B. Schulprogramm, Medienkampagnen);
Selektive Prävention zielt auf Hochrisikogruppen (z.B. mit besonderen Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen) ab; und
Indizierte Prävention auf Individuen, die bereits erste Symptome einer psychischen Störung aufweisen, aber die Diagnosekriterien noch nicht erfüllen.
Im Vergleich hierzu sind Akut- und Aufrechterhaltungsbehandlungen auf Personen zugeschnitten, die bereits die Kriterien einer Störung erfüllen, oder erfüllt haben.
Nach Prognosen werden psychische Störungen spätestens 2030 in Industrieländer jene Erkrankungen mit der größten Krankheitslast auf unser Gesundheitssystem darstellen. Zudem sind psychische Erkrankungen mit einem gewaltigen Verlust der Lebensqualität, erhöhter Mortalität, sowie enormen gesellschaftlichen Kosten verbunden.
Nach australischen Modellstudien können beispielsweise durch die derzeitige psychotherapeutische Versorgung nur 16% der Krankheitslast von Depression abgewendet werden. Aber selbst wenn alle Patienten eine evidenzbasierte Behandlung erhalten würden, könnte damit nur 34% der Krankheitslast verhindert werden.
Während es große Forschungstätigkeit und Behandlungsangebote auf dem Gebiet der Behandlung psychischer Störungen gibt, richtet sich erst seit Kurzem der Fokus auf präventive Forschung.
Zahlreiche empirische Befunde belegen das Potenzial psychologischer Interventionen zur Prävention von psychischen Störungen. Zum Beispiel wurde in einer kürzlich durchgeführten Meta-Analyse gezeigt, dass psychologische Interventionen, die darauf abzielen, depressive Störungen zu verhindern, die Inzidenz um etwa 22% reduzieren konnten (van Zoonen et al., 2014).
Ergebnisse aus einem anderen Review zeigen, dass kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierte, präventive Interventionen die Transmission zu psychotischen Störungen mit einem Risiko-Verhältnis von 0,54 (95%CI: 0,34-0,86) reduzieren (Hutton & Taylor, 2014).
Ermutigende Evidenz auf Basis einer begrenzten Anzahl von randomisiert-kontrollierten Studien liegt unter anderem auch zur Prävention von Essstörungen (Harrer et al., 2020) und Tabakkonsum (Hwang, Yeagley, & Petosa, 2004) vor.